quarta-feira, 1 de junho de 2016

#boatengsnachbar Wofür wir Alexander Gauland dankbar sein müssen

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Sabine Rennefanz


Der berühmte, kürzlich verstorbene Historiker Fritz Stern hat einmal sinngemäß gesagt, die Deutschen neigten beim Diskutieren zu Übersprungshandlungen, Debatten laufen schnell heiß und versanden dann wieder, ohne dass jemand etwas dazugelernt hat.
Diese Diskussionskultur weiß niemand besser als die AfD auszubeuten.  Jemand von der AfD macht eine gezielt provokante Bemerkung, schon schreien alle reflexhaft auf – und die Partei ist tagelang im Gespräch und bei den Klickzahlen oben. Mit einer echten öffentlichen Debatte hat das wenig zu tun, es geht nicht um Erkenntnisse, sondern darum, Meinungen möglichst laut herauszuschreien, sich der eigenen Gesinnung zu versichern. Da istAlexander Gauland, Vize-Chef der AfD nun etwas Bemerkenswertes gelungen – wider Willen hat er gezeigt, wie verheuchelt über Integration in Deutschland geredet wird.
Am Wochenende hatte er in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über den Nationalspieler Jerome Boateng, Sohn eines Ghanaers und einer Deutschen, gesagt: "Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Woher Gauland über die Wohnpräferenzen aller Deutschen so genau Bescheid wusste, sagte er nicht. Klar: Seine Äußerung war ekelhaft und rassistisch. Dennoch irritierten mich die vielen Meinungsbekundungen, die nun stündlich über die sozialen Medien liefen. Alle überschlugen sich darin, Gaulands Äußerungen zu verurteilen und zu versichern, wie gern sie Boatengs Nachbar sein würden. Bilder von einem Graffitto aus Wedding wurden gepostet, auf dem Jerome und sein Halbruder Kevin-Prince Boateng zu sehen sind. „Nachbar Boateng? Im Wedding kein Problem“, stand darüber. Julia Klöckner, die bekannte CDU-Politikerin aus Rheinland-Pfalz, twitterte, sie hätte lieber Boateng als Gauland als Nachbarn.

Jerome Boateng mit Liebe überflutet

Jerome Boateng wurde mit Liebe überflutet, von lauter Liebe fast erstickt. Die Sympathiebekundungen sind fast so überwältigend, dass man sich fragt, ob sich nicht auch etwas anderes überdecken soll. Vielleicht ein Schuldgefühl? Eine Art Wiedergutmachung? Deutschland, das darf man nicht vergessen, ist das Land, in dem zehn Jahre lang Terroristen unerkannt Migranten ermorden konnten. Wer ist denn Jerome Boateng? Er ist ein in Berlin aufgewachsener Fußballprofi, der für die Deutschen den WM-Titel geholt hat, Multimillionär, wohnt in einer Villa in München-Grunewald. Wer will da nicht sein Nachbar sein?
Boateng, unser Held! Seht her, wir sind keine Rassisten, wir sind gar nicht so schlimm, wir können sogar einen Schwarzen lieben, jedenfalls solange er uns Fußball-Titel einbringen! Könnte es nicht sein, dass all diejenigen, die jetzt ihr Liebe zu Boateng herausposaunen, ein bisschen was von dem Glamour abhaben wollen? Würden dieselben sich ähnlich begeistert äußern, wenn es sich um weniger privilegierte Migrantenkinder handelt?
Vor ein paar Jahren bin ich nach Kreuzberg gezogen, meine Nachbarn waren überwiegend Türken, die kein Deutsch sprachen. Ich erinnere mich noch an die Reaktion eines erfolgreichen PR-Managers im Kulturbetrieb, hochgebildet und eingefleischter Rot-Grün-Wähler: Nach Kreuzberg, nie im Leben, ich möchte keine Türken als Nachbarn haben. In Kreuzberg gab es auch eine widersprüchliche Stimmung, einerseits Hass auf alles Nationalistische, andererseits aber doch eine latente, unter der Oberfläche gärende Fremdenfeindlichkeit. Oder ich dachte an die Bekannten mit ihrem taz-Abo und den ökologisch korrekten Einkaufsverhalten, die nach Dahlem zogen, sobald das Kind schulpflichtig wurde. Ich denke an die vielen Geschichten von Bekannten, die sich unter falschen Adressen anmeldeten, damit sie ihre Kinder bloß nicht im Wedding oder in Neukölln zur Schule schicken müssen. Würden diejenigen, die so begeistert von Wedding schwärmen, auch dorthin ziehen und ihre Kinder in der Schule anmelden?
Von selbstverständlicher Weltoffenheit ist Deutschland noch sehr weit entfernt. Das hat die aktuelle Debatte gezeigt, und dafür gebührt Alexander Gauland Dank.

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